Bist du im Himmel-Martin Ralchevski /Deutsch

Bist du im Himmel-Martin Ralchevski /Deutsch c
6.05.21 г., 12:09

Bist du im Himmel  (nach einer wahren Geschichte) 

 Es war zehn Monate her, seit Hristos Großmutter gestorben war, und er knabberte immer noch an dem Verlust. Als Intellektueller, der eine der renommiertesten Universitäten des Landes absolviert hatte, war er ein Mann der Vernunft. Seine Lebensphilosophie über das Unsichtbare war, dass ein Jenseits möglicherweise existiert. Da aber nichts dergleichen wirklich bewiesen wurde, wäre es besser, sich nicht in leeren Gedanken zu verlieren. Obwohl er es nicht zugeben wollte, hat ihn der Verlust seiner Großmutter ziemlich erschüttert und riss ihn aus der Lethargie des rationalen Denkens heraus. Die Zeit lief davon und er konnte die Erinnerungen immer noch nicht loswerden. Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass sie weg war. Für immer und ewig. Tag für Tag, Monat für Monat war er weiterhin mit ihr seelisch verbunden. Am 1. September ging er unruhig ins Bett. Er hatte in letzter Zeit viel Angst, aber dieser Abend war irgendwie besonders. Neben der inneren Unruhe hatte sich bei ihm das Gefühl einer unmöglichen Begegnung eingenistet. "Bist du im Himmel, Oma?" - wiederholte er leise im Dunkeln, rollte wie ein Embryo auf einer Seite, schloss die Augen und versank in seine Erinnerungen. Sie war eine sanfte, friedliche alte Frau gewesen. Sie hatte nie ihre Stimme erhoben. Sie war eine gute Hausfrau. Sie kochte köstlich und mit viel Liebe für die ganze Familie. Und nachdem alle am Tisch saßen, dankte sie Gott. Sie lebte bescheiden. Sie besaß kaum persönliche Gegenstände. Neben ihrem Bett befand sich ein Öllämpchen und die Ikone der Heiligen Mutter Gottes. Wenn Hristo fragte, warum sie jede Nacht die Öllampe anzündete, antwortete sie leise: "So muss es sein, Liebling." Es wurde Nacht. Hristo entspannte sich im Halbschlaf, und fand sich plötzlich ganz unverhofft auf dem Malaschew-Friedhof vor. Viele Leute hatten sich hier versammelt. Sein Vater, seine Mutter, seine Schwester, Verwandte, Freunde, Nachbarn. Der Anlass war besonders. Aus irgendeinem unbekannten Grund wollten sie die Überreste seiner Großmutter aus dem Grab rausholen. Es war seltsam, sogar beängstigend, denn seit ihrem Tod war nicht mal ein Jahr vergangen. Keiner der Anwesenden schien die Tatsache zu stören. Die Totengräber gruben die Erde aus, erreichten den Sarg und öffneten ihn vorsichtig. Alle versammelten sich, um zu sehen, was sich drunter befand. Und dann passierte das Unerklärliche. Zu Hristos Entsetzen oder vielmehr zu seiner Überraschung war seine Großmutter unversehrt. Sie sah gesund und nicht tot aus, als würde sie schlafen. In diesem Moment vergaß Hristo die guten Manieren und die Meinung seiner Mitmenschen. Er beugte sich über sie, sein Atem stockte. Er beobachtete sie von ganz nah. Er blinzelte nicht, bewegte sich nicht. Er war ernst, traurig, aber auch exaltiert und voller Liebe. "Oma. Oma ...", wiederholte er leise, ohne seine Augen von ihr abzuwenden. Alle waren überrascht. Niemand wagte es, sich zu bewegen. Und dann ... geschah das Wunder! Die Oma hustete. Und einen Moment später öffnete sie langsam ihre Augen.. Alle waren völlig verwirrt. - Sie lebt! schrie jemand und seine Worte hallten durch die Nachbarschaft. - Aber wie?! Wie ist es möglich? Sagte eine Frau. - Meine Frau wurde ohnmächtig! - Ein anderer fügte hinzu. - Bitte gib mir Wasser! - Ceca ist auch krank! - Bring Wasser her! Im Wirrwarr wurde wurde Hristo besorgt und abgelenkt. Als er wieder nach seiner Großmutter schaute, war sie nicht mehr da. Vor seinen weit geöffneten Augen leuchtete im Dunkeln nur das Zifferblatt seiner Nachtuhr. Er streckte die Hand aus und schaltete die Schließfachlampe ein. - Sie schien so ruhig und ... glücklich zu sein, sprach er zu sich selber und lächelte. – Vielleicht war es ein Zeichen aus dem Jenseits, dass da oben wirklich etwas ist. – Wie schön nur! Oma ist im Himmel! Vereinfacht ... lebendig ... und ... glücklich ... P.S. Nach diesem Traum verschwand die Angst Hristos augenblicklich. Er fühlte sich ruhig und irgendwie unerklärlich glücklich. Und jeder, der ihn kannte, war verwundert über seine Verwandlung. 

 

Martin Ralchevski

Maler-Oya Fandakova

Deutsche Übersetzung - Paulina Tsvetanova

* Eine Initiative von Mariya Dzhurkova und Bogdana Sirakova