KÄLTE-Nidal-Algafari /Deutsch

KÄLTE-Nidal-Algafari /Deutsch c
6.05.21 г., 15:14

KÄLTE

 

Gott war beleidigt, dass seine Familie väterlicherseits den Winter nicht überlebte und. schuf einen beispiellosen Winter. Drei Tage lang gab es Schneeregen, und als er aufhörte, fror alles Lebendige ein. Am Morgen, als der Frost sich ebenfalls beruhigte, wurde es ganz still. Kein Vogel zwitscherte. Der Wolf heulte nicht, der Wald hallte. Die schneebedeckten Äste brachen. Ganze Bäume fielen, als wären sie gefällt. Wir konnten nicht aus unserer Hütte herauskommen, da der Schnee so hoch wie die Tür selbst war. Wir hatten kein gesammeltes Brennholz mehr, dann ließ die Not meine Mutter ihre Beleidigung schlucken und schickte sie zu ihren Eltern. Um Barmherzigkeit und Vergebung zumindest für mich zu erbitten. Sie grub eine kleine Nische in unserer Hütte, groß genug, damit wir herausschleichen können, wickelte mich und sich selbst in alles ein, was wir hatten, und ging fort.

Der Weg, den wir kannten, war von einer weißen Schneedecke bedeckt, und uferte durch die Büsche aus. Der Schneesturm genoss den weißen und weichen Teppich, spielte verrückt, wirbelte seitlich rum. Er brachte den kleinen und zerbrechlichen Schneeflocken eine Lektion bei - solange sie klein und zart waren, konnte man sie mit Füssen treten. Dennoch, wenn sie mit dem Schneesturm eins wurden, gab es kein einziges Lebewesen, nicht mal einen Jahrhunderte alten Baum, der ihnen nicht gehorchte. Das Unwetter sammelte die Schneeflocken, hob sie hoch, schmiss sie vor uns, sodass wir überhaupt nichts mehr sehen konnten. Andere Schneeflocken haute die weiße Diva in mein Gesicht und Ohren, in meine Nase. Sobald mich die Schneeflocken berührten, klammerten sie sich an mich und verwandelten sich in Eiszapfen. Der Schneesturm folgte uns einmal, wanderte dann woanders hin, um Unheil zu stiften, kam wieder zurück oder überholte uns, um die schweren vor uns liegenden Äste zu brechen.

Meine Mutter hatte meine Füße in Felle gewickelt, aber der Schnee war so tief, dass wir nach nicht mal hundert Schritten anhalten mussten. Die kalten Dämonen streckten ihre Hände unter der eisigen Schneedecke hervor und klammerten sich an die Felle. Egal wie fest wir die Felle festzogen, sie rutschten aus oder füllten sich mit Eis, das schmolz und sich auf die Füße ausbreitete. Dann wurde die Kälte zu Eis und als ich meine Füße ein wenig rieb, floss die Kälte wieder. Da wo ich früher hundert Schritte gelaufen bin, fiel es mir schwer, selbst zehn zu laufen. Meine Kleidung bog sich nicht, sondern bröckelte beim Umdrehen. Alles zitterte an mir. Lippen, Hände und Knie schienen mit Nadeln durchbohrt zu sein.

Meine Mutter blieb stehen. Sie drehte sich zu mir, da ich zu spät dran war. Ich sah elend aus, sie warf mir ihr Obergewand zu.

- George, du bist schon ein großer Mann. Du wirst es schaffen, nicht wahr, mein Söhnchen. Wegen mir wirst du es schaffen – sagte sie zu mir und lief weiter fort.

Ich wollte ihr wirklich sagen, dass ich kein Mann bin. Dass mir kalt ist. Dass ich nicht mehr die Kraft habe zu gehen, aber sie tat mir so leid, so winzig, schwach und gebeugt war ihr Körper im Schneesturm, und sie wollte mich beschützen. Mein Körper wollte Wasser. Wir wateten im Wasser, das nicht trinkbar war. Meine Lippen knackten und rissen. Blut spritzte aus ihnen. Meine Knie stolperten und ich fiel auf sie. Ich wollte schlafen. Nur ganz kurz, um mich auszuruhen. Dann blieb Mama stehen. Sie schob den Schnee vor sich zur Seite und gelangte an einen großen Kiefer. Sie setzte sich und zog mich an sich. Öffnete ihre Kleidung. Sie setzte mich auf ihren Schoß und umarmte mich fest. Mein Zittern war nichts gegen ihrs. Sie schauderte und drückte mich fest. Ihre Beine umfassten meine, ihre Hände schlangen meine um, sie legte ihren Kopf über meinen und gab mir Wärme mit ihrem Atem –

damit ich Wärme habe.

- Schlaf, mein Kind! Schlaf! Mein Mutterherz wird dich wärmen. -  sagte sie und spendete mir nach jedem Wort Wärme.

Als ich meine Augen schloss, hob sie den Kopf und ihre traurigen Augen starrten auf den Wirbelsturm vor ihr.

- Lieber Schneesturm! Warum bist du so wütend? Machst du mir Vorwürfe oder spielst du Spielchen? Ich fleh dich an, als Mutter, verschwinde! Ruiniere nicht sein Leben. Er hat noch nichts von der Welt gesehen. Geh weg! Sprach meine Mutter zu der weißen Diva und legte ihren Kopf wieder auf meinen.

Der Schneesturm tobte noch ein wenig, beruhigte sich dann irgendwie und setzte sich vor meiner Mutter. Sie zuckte die Achseln und die Schneeflocken klebten an der Stirn meiner Mutter. Mama rührte sich nicht. Der Schneesturm streckte den Arm aus, um den Arm meiner Mutter wegzuschubsen, neckte, aber Mamas Arme bewegten sich nicht. Diese Frostkönigin hatte vielleicht kein Herz, aber eine Seele. Sie pfiff.

- Aww!

Der Schneesturm sprang vor uns und rannte die Schlucht hinunter. Wenn er bis jetzt nur kindlich gespielt hatte, wurde er jetzt erst recht wütend. Leicht gelacht, leicht geweint. Er rannte. Er winkte mit den Armen und warf Schnee hinter sich. Die weiße Diva verschwand in der Ferne, irgendwo auf den Gipfeln konnte ich sie noch ein bisschen heulen hören, dann beruhigte sie sich. Ich schlief ein in den Armen meiner Mutter.

So haben uns gutherzige Menschen vorgefunden. Noch eine Stunde und wir hätten das Dorf erreicht. Das Herzchen meiner Mutter hatte inzwischen aufgehört zu schlagen, aber es hatte mir die Wärme gegeben, zu überleben. Nur mein Arm war erfroren. Sie wurde im Dorf begraben und ich wurde dem Quacksalber überlassen.

 

Nidal Algafari

Maler - Oya Fandakova

Übersetzung Bulgarisch-Deutsch - Paulina Tsvetanova

Eine Initiative von Mariya Dzhurkova und Bogdana Sirakova